Schon letztes Jahr habe ich mich für das Bergwaldprojekt angemeldet, aber wegen zu hoher Nachfrage keinen Platz mehr erhalten.
Dieses Jahr sollte es klappen. Der einzig mögliche Termin fand sich im Wägital.
Also fuhr ich ins Wägital. Etwas aufgeregt war ich. Wusste nicht, was mich genau erwartet und ob ich den Anforderungen gerecht werden könnte.
Pünktlich erreichte ich den vereinbarten Treffpunkt am Parkplatz in Innerthal am Wägitaler See. Wendelin, unser Projektchef, kam auch gerade an. Nachdem alle Teilnehmer eingetrudelt waren, fuhren wir noch ein Stück weit am See entlang und parkten gegenüber dem Aufstiegswegs zur Hochfläschenhütte.
Die Rucksäcke wurden zum Glück mit der Materialsilbahn nach oben befördert. Bei den herrschenden, hohen Temperaturen eine wahrer Segen. So stiegen wir mit leichtem Gepäck 450 steile Höhenmeter zur Hütte.
Dort angekommen, suchte und fand ich erstmal einen Platz für mein Zelt, baute dieses auf und lauschte nach dem Abendessen den Instruktionen für die nächsten Tage.
Als ich mich danach in mein Zelt zurückzog, war an Schlaf erst mal nicht zu denken. Zu meinem Schreck hatte die gesamte Fliegenpopulation des Wägitals ein neues Zuhause unter meinem Zeltdach gefunden. Ein paar Seiten meines mitgebrachten Buchs wollte ich noch lesen, aber denkste. Aufgeschreckt durch das Licht, flogen die Biester völlig enthemmt zwischen Aussen- und Inenzelt umher und machten einen unbeschreiblichen Radau. Also löschte ich das Licht wieder und sann darüber nach, ob ich zwischenzeitlich zur Kuh mutiert war. Die Viecher beruhigten sich zwar etwas, aber der Schlaf wollte trotzdem nicht so recht. Die erste Nacht war einfach kacke.
Dafür kam ich dann am nächsten Morgen als Erste. Um 6:30 Uhr war Aufstand der Bergwäldler. Mich trieb es schon um 6 Uhr in die Küche zu Hubert, Mary Rose und Kaffee. Zum Glück wussten die beiden, dass jeder gute Tag mit viel Kaffee anfängt.
Als die anderen sich allmählich zum Frühstück einfanden, hatte ich schon ein gutes Birchermüsli gegessen und leerte die vierte Tasse.
Wir wurden dann in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen gingen nach oben in den Wald, die anderen nach unten auf eine versumpfte Bergwiese.
Ich ging mit in den Wald. Unsere Aufgabe bestand darin, einen alten Forstweg freizuhacken, der zu einer Schneise führte, wo der letzte, grosse Sturm etliche Bäume gefällt hatte. Über diesen freigelegten Weg sollten wir später 150 Fichtensetzlinge pflanzen, die ein Hubschrauber in der Wochenmitte einfliegen würde.
Mit Sense, Hacke und Motorsäge machten wir uns im steilen Bergwald an die Arbeit. Am Mittag zog ein Gewitter auf und es bagann heftig zu schütten. Unter einer grossen Zeltplane versammelten wir uns zum Eintopfessen. Nico hatte ein grosses Lagerfeuer entfacht, worauf sich die Suppe im Kessel schnell erwärmte.
Danach ging es bei nachlassendem Regen wieder an die Arbeit.
Ich glaubte ja, ich sei fit…aber acht Stunden Waldarbeit forderten körperlich alles.
Dann kam der Hunger- Zurück bei der Hütte roch es schon verführerisch nach Essen. Vor dem kulinarischen Genuss wartete jedoch die Dusche. Ein Gartenschlauch vom Brunnen führte hinter die Hütte, der daraus sprudelnde, eiskalt Wasserstrahl weckte die Lebensgeister.
Unser Küchenteam liess keine Wünsche offen, das Abendessen schmeckte nach der Erfrischung vorzüglich.
Lange hielt es mich danach nicht mehr in der Runde und ich trollte mich todmüde in mein Zelt und wünschte meinen fliegenden Mitbewohnern eine gute Nacht.
Kurz nach dem ersten, kurzen Tiefschlaf ging es dann los. Eine Lightshow vom Feinsten, gefolgt von mächtigen Donnerschlägen, Regengüssen und Hagel. Es dauerte lange und mir wurde bange. So war auch in dieser Nacht an Schlaf erst mal nicht zu denken. In den frühen Morgenstunden legte sich das Gewitter und die einkehrende Stille machte kurz vor der Weckzeit dem zweiten Tiefschlaf Platz. Blödes Timing.
Obwohl ich etwas später zum Frühstück kam, gab es noch genügend Kaffee und Mary Rose brühte extra für mich nochmal etwas auf.
Heute waren wir zur Sumpfwiese eingeteilt. Bäumchen und Sträucher sollten entfernt werden, um die Wiese auszutrocknen und nutzbar zu machen.
Wir stiegen 450 Höhenmeter zur Wiese ab, bewaffneten uns mit Säge und Heckenschere und machten uns an die Arbeit. An manchen Stellen reichte der Sumpf bis zu den Knien. Stundenlang fällten wir dünnere Bäume und schnitten Hecken ab. Erstaunlich, was viele Hände in relativ kurzer Zeit zustande bringen. Wir waren ein tolles Team, jeder packte mit an und nach einem nahrhaften Mittagseintopf war bald schon das Dickicht gelichtet.
Nach der Arbeit stiegen wir wieder zur Hütte auf und liessen den anstrengenden Tag mit Dusche, Lesen, Abendessen, Klönen und einem wunderbaren Blick auf den Wägitaler See und den im Abendlicht strahlenden Flüebrig ausklingen.
Mit den beflügelten Kameraden in meinem Zelt hatte ich mich inzwischen versöhnt, die Nacht bescherte mir einen ausgiebigen Schlaf.
Der nächste Tag brachte etwas Abwechslung ins Programm. Eine Gruppe machte eine Wanderung zum Schiberg, die anderen durften für die Hütte Holz hacken. Das Wetter verschlechterte sich nach dem Frühstück, Regenwolken und Gewitter zogen auf, so entschied ich mich fürs Holzhacken. Kurz nachdem die ersten Scheite durch die Gegend flogen, fing es an zu schütten wie aus Kübeln. Ich war froh, nicht am Berg unterwegs zu sein. Wir hackten, was die Axt hergab und bis die anderen von ihrer Bergtour zurückkamen. Sie mussten wegen des Regens lange auf einer Alm ausharren und hatten so leider den Gipfel nicht erreicht.
Nach dem Mittag war Gruppenwechsel. Wir hatten Freizeit und die anderen durften hacken.
Da sich die Wolken inzwischen verzogen hatten, beschloss ich, alleine zum Schiberg aufzusteigen. Erst lief ich zum Fuss des schön geformten Zindlenspitz, machte dort eine ausgiebige Pause und ging dann weiter Richtung Schiberg. Kurz vor dem Gipfel raubte mir eine von unten aufziehende, dichte Nebelwand den Durchblick. Zeit für den Rückzug.
Beim Abstieg gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Die vorangegangenen, anstrengenden Tage brachten mich an meine körperlichen Grenzen, hatten mich völlig ausgelaugt. Ich fühlte mich den kommenden zwei Tagen nicht mehr gewachsen und beschloss schweren Herzens, am nächsten Tag das Bergwaldprojekt abzubrechen.
Ein klärendes Gespräch mit Wendelin am Abend besiegelten meinen Entschluss. Ein schöner Abschlussabend mit Weib, Mann, Bier, Gitarre und Gesang machten meinen Entschluss nicht einfach.
An einem wunderschönen, blassrosablauen Morgen baute ich mein Zelt ab, packte meinen Rucksack, trank mit Mary Rose und Hubert noch einen Kaffee und stieg anschliessend nach Innerthal ab.
Wunderbar intensive, anstrengende, schöne und lehrreiche Tage lagen hinter mir. Glücklich, sie erleben zu dürfen und traurig, nicht bis zum Ende dabei sein zu können, trat ich die Heimreise an.