19.8.2003 – Flug nach Vancouver
Vom Stuttgarter Flughafen starten wir erstmal mit einer Boeing 737 Richtung London. In Heathrow müssen wir umsteigen, der Aufenthalt ist zu kurz um einen Abstecher in London zu machen und zu lang, um es angenehm zu finden.
Dann endlich, 4 Stunden später gehts mit einem Jumbo der British Airways weiter und nach 9 stündigem, ruhigen Flug landen wir in Vancouver.
Von einem Hotel-Hotline-Terminal aus bestelle ich den Shuttle für’s Coast-Hotel, wo ich für die erste Nacht ein Zimmer für uns gebucht hatte.
10 Minuten später steht der Shuttle vor der Tür, wir bringen erst mal unser Gepäck ins Zimmer, ruhen uns ein wenig aus und erkunden dann, wie wir am nächsten Tag nach Vancouver Island kommen würden.
Da wir auf dem Flug nach Westen 9 Zeitzonen überquerten, ist erst früher Nachmittag und uns bleibt genügend Zeit, die Gegend auszukundschaften.
20.8.2003 – Cosmic Cow
Im Morgengrauen packen wir unser Geraffel und fahren mit dem Taxi zur Grayhound Station.
Wir haben noch 2 Stunden bis zur Abfahrt nach Tsawwassen, von wo unsere Fähre nach Nanaiimo übersetzt,
genügend Zeit für einen Abstecher nach Chinatown, unbedingt sehens- und riechenswert!
Wir bestaunen die vielen kleinen Läden mit ihrem reichhaltigen Angebot an ausgefallenen exotischen Speisen und nützlichem sowie undefinierbarem Trödel, dann gehts weiter mit dem Greyhound zur Fähre.
Nach ruhiger Überfahrt landen wir auf Vancouver Island; ein kurzer Anruf und Erin,
die Besitzerin der Cosmic Cow sammelt uns am Busbahnhof ein.
Diese Farm, ziemlich abgelegen ausserhalb Nanaimo’s, lässt uns abtauchen in vergangene Western-Träume; ein mystischer Ort, reichlich dekoriert mit Dreamcatchern und Kuhskulpturen und -bildern.
Nachdem Erin uns das Gelände und das Haus gezeigt hat, relaxen wir in der Hängematte
und geniessen die morbide Atmosphäre des verwilderten Anwesens.
Unsere Unterkunft besteht aus einem winzigen Cabin, welches gerade mal Platz für Bett und Schrank bietet, was uns nicht weiter stört, da wir nur 2 Nächte dort verbringen werden.
Wir können Küche und einen Aufenthaltsraum in der Farm nutzen, so machen wir uns nach einer Erkundungsfahrt mit Fahrrad an die Zubereitung des Abendessens.
Die Umgebung ist fast genauso verlassen wie das Hostel – Erin und ihr Freund sind unterwegs – ausser uns gibts noch eine Chinesin, die als Wwoofer arbeitet, und Buster, der den Hof akribisch und lautstark bewacht.
Ordentlich müde verdrücken wir uns nach schlichtem Mahl auf die etwas durchhängenden Matratzen und suchen den Schlaf, der immer wieder durch ungewohnte Geräusche und Busters Kratzen an der Türe unterbrochen wird.
21.8.2003 – Nanaimo
Nach ausgiebigem, bunt zusammengemixten Frühstück machen wir uns auf den Weg nach Nanaimo; uns fehlt noch leichtes Kochgeschirr für den Trail und wir wollen uns ein wenig umschauen.
Immerhin klang, was im Internet über diese Stadt geschrieben wird, ziemlich vielversprechend
Die Erwartungen an Nanaimo, mit seinem “urbanen Flair” und einer Population von knapp 80.000 Einwohnern, weichen nach einem Streifzug durch die “Innenstadt” ziemlicher Ernüchterung.
Keinen einzigen Laden mit Trekkingausrüstung gibt es dort, immerhin ein paar Shops mit Kunsthandwerk der Native People, ein paar Kneipen, ein Museum, was leider geschlossen hat und zwei Kinos mit magerem Programm.
Nanaimo ist von der Fläche her sehr weitläufig, ausgestattet mit riesigen Strassen, einen Stadtkern, wie wir es von deutschen Städten gewohnt sind, gibt es nur ansatzweise. Alles in allem lädt uns dieses “Flair” nicht grade zum Bummeln ein – sieht man von den durch motorisierte Fahrzeuge sehr belebten Strassen ab, ist es ein verschlafenes Nest.
Selbst die Suche nach einem Supermarkt bleibt ergebnislos – diese Megastores befinden sich alle ausserhalb der Stadt und sind nur mit dem Auto bequem erreichbar – kleine Lebensmittelläden gibt es praktisch keine. Wir schauen uns den hübschen kleinen Hafen an, trinken noch einen Kaffee und machen uns auf den Heimweg.
Am nächsten Tag solls nach Victoria weitergehen, deshalb wollen wir früh in unsere Kojen.
22.8.2003 – Victoria
Die Rucksäcke sind gepackt und gestärkt mit dem üblichen Cornflakes/Eier/Speck-Frühstück bringt uns Erin frühmorgens zur Greyhound-Station. Der Bus steht schon da, es bleibt uns aber noch ein wenig Zeit bis zur Abfahrt.
Ich kaufe mir eine widerwärtig neonrosafarbene pappsüsse nach Hustensaft schmeckende Limo und dusche damit beim Öffnen fast alle Mitwartenden. Das sorgt erstaunlicherweise für enorme Heiterkeit, nicht mal der weissbehemdete Herr vor mir, der mich jetz irgendwie an Windpocken erinnert, ist richtig böse und nimmts mit Humor.
Die 2 1/2 Stunden dauernde Fahrt nach Victoria verbringen wir mit Kartenstudium, wir suchen uns ein Hostel in Downtown nahe der Haltestelle aus. Der Weg dorthin entpuppt sich dann als wesentlich weiter, als dies auf der Karte erkennbar war. Wir nehmens gelassen und betrachten es als Übung für den Trail.
Im Ocean Island angekommen, werden wir von Joachim, einem deutschstämmigen Kanadier, wie alte Bekannte sehr herzlich begrüsst. Die Atmosphäre ist toll; Menschen aller Altersgruppen und aus den unterschiedlichsten Ecken dieser Welt tummeln sich hier, es ist ein emsiges Kommen und Gehen und nach etwas chaotischem Rumsuchen hat
Joachim nun doch noch ein Zimmer mit zwei freien Betten für uns gefunden.
Zimmer??? Immerhin, es hat vier Wände, eine Tür, ein Fenster, zwei Etagenbetten und ein Wandschrank.
Dann ist gerade noch genug freier Raum für einen stehenden Menschen, naja gut, vielleicht zweie, wenn sie sich denn riechen können…
Wir schlafen in den oberen…Betten??? Gut, ich bin in dieser Höhe noch einigermassen schwindelfrei und mit Seekrankheit hatte ich bisher auch nicht zu kämpfen, aber ein Liegetest ergibt, dass jede kleinste Bewegung diese windige Stahlrohrkonstrunktion ins Schwanken bringt und das auch noch mit quitschendem Begleitgeräusch.
Verspricht auf alle Fälle eine spannende Nacht zu werden!
Wir verstauen also unseren Kram und machen dann die Bekanntschaft mit Zimmerkollege Dave, einem jungen Kanadier aus Ottawa, der seit Monaten durchs Land reist, auf der Suche nach einer neuen Bleibe und einem Job.
Nach der ersten Flanier- und Sightseeingrunde durch Victoria, einer sehr britischen, sehr weltoffenen, quirligen Stadt mit multikultureller Bevölkerung und reichlich bestückt mit Gebäuden im victorianischen Stil, sind wir voller Begeisterung.
Viele kleine Läden mit ausgefallenem Sortiment an Klamotten, Kunsthandwerk, Schmuck, Lebensmittel und Musik säumen die Strassen; die vielen gemütlichen Pubs zeugen von einer lebhaften Blues- und Jazzszene.
Schlaflos in Victoria – die Nacht im Ocean Island ist wie erwartet. An Schlaf ist im entferntesten nicht zu denken, unser Zimmergenosse Dave schnarcht derweil munter und friedlich vor sich hin. Als dann morgens um halb vier Zimmerkumpel 2 seine schätzungsweise 100kg lautstark in die untere Etage meines Bettes plumpsen lässt,
verwerfe ich den letzten Hoffnungsschimmer auf Schlaf zugunsten einer freudigen, ungeduldigen Erwartung des nahenden Morgens…
23.8.2003 – letzte Vorbereitungen für den Trail
Ziemlich müde und hungrig machen wir uns am Morgen auf die Suche nach Kaffee und Frühstück. Um die Ecke findet sich ein Starbucks, ein halber Liter Kaffee im Stehen und die Lebensgeister rühren sich wieder. Nach dem Frühstück machen wir die Bekanntschaft mit Tanzbär, meinem Etagenbettkollegen, einem recht lustigen Typen mit langen, grauen Haaren. Einer, der sich als Roady durch die kanadischen Städte jobbt, morgens schon zu Rockrhythmen die Hüften schwingt, seinen Whisky trinkt und sonst ziemlich munter in den Tag lebt.
Nun wird es Zeit, Lebensmittel, Kochgeschirr und geeigneten Brennstoff für unsere Tour einzukaufen. Wir entscheiden uns gleich im ersten Laden für einen Trangia-Kocher, teuer, dafür ultraleicht, praktisch und sehr klein.
Die richtige Auswahl der Lebensmittel fällt uns ziemlich schwer, da wir einerseits auf das Gewicht achten müssen und andererseits schlecht einschätzen können, welche Mengen wir in den nächsten 5 Tagen verdrücken werden.
Stunden später treffen wir im Hostel mit 2 vollen Tüten wieder ein und machen uns ans Bepacken der Rucksäcke.
Wir verstauen die Lebensmittel geruchssicher in Plastikbehältern, damit die Bären nicht ständig hinter uns herlaufen.
Unser restliches Gepäck, einen Rollenkoffer, können wir in einem Aufbewhrungsraum des Hostels bis zu unserer Rückkehr einlagern; ausserdem buchen wir gleich noch 2 Schlafplätze zum geplanten Rückkehrtermin und das Ticket für den West Coast Trail Express.
Entspannt nützen wir den Abend für einen Bummel durch die Stadt, stöbern in den Geschäften und essen gut und preiswert bei einem der zahlreichen Chinesen. Was uns noch fehlt ist Spiritus für den Kocher, in keinem der Läden konnten wir sowas bisher auftreiben. So machen wir uns erneut auf die Suche und klappern die Drugstores ab,
aber überall ernten wir nur ein Kopfschütteln. Da Spiritus Alkohol ist, und die normalen Geschäfte keine Lizenz zum Verkauf desselbigen haben, gibts den Stoff wohl nur im Liquor Store, die haben aber alle schon zu.
Zum Glück treffen wir während unserer Suchstaffel auf Klaus, einen Deutschen aus Köln, der in den nächsten Tagen den West Coast Trail laufen will und uns anbietet, uns von seinem Spiritus einen halben Liter abzugeben, falls unsere weitere Suche erfolglos bleiben sollte. Das bleibt sie, und so nehmen wir das Angebot dankend an und besuchen Klaus abends in seinem Hostel, plauschen und tauschen Erfahrungen aus und mit Spiritus bewaffnet und erschöpft von einem langen Tag kehren wir ins Ocean Island zurück um gleich danach in einen tiefen Schlaf zu versinken, den diese Nacht weder Schnarchen noch Quitschen unterbrechen können.
24.8.2003 – Trail 1.Etappe/Bear Beach
Ausgeschlafen packen wir nach kurzem Frühstück um 6 Uhr unsere Rücksäcke auf den Rücken und traben los Richtung Bus-Station, wo uns der Shuttle um 6:30 a.m. einsammelt. Die 20 Kilo erden mich ganz ordentlich und der Gedanke, die nächsten Tage damit durch teils unwegbares Gelände zu laufen, bringt mich etwas ins Grübeln.Die Fahrt ist sehr kurzweilig, der Fahrer macht Spässe und alle unterhalten sich miteinander, so dass meine Bedenken schnell verfliegen. Mit uns fahren noch Ellen und Carol, 2 Kanadierinnen mittleren Alters, Adame und June, ein junges Päärchen aus Toronto und ein Alleinwanderer, die alle den Juan de Fuca Trail gehen wollen Das Wetter ist inzwischen nicht mehr so toll wie in den vergangenen Tagen, Wolken ziehen auf, doch es bleibt zum Glück trocken.
Am Trailhead China Beach angekommen, füllen wir noch das Anmeldeformular aus und stecken es zusammen mit den Campingplatzgebühren – 5$ pro Nacht – in die dafür vorgesehene Mailbox und dann traben wir gemächlich los.
Da jeder ein unterschiedliches Tempo vorlegt, verlieren wir die anderen bald aus dem Blick und das Grün und eine ungewohnte Stille umfängt uns; nur die Bärenglöckchen bimmeln unentwegt vor sich hin.
Ein kurzes Stück durch den Wald, und wir erreichen China Beach. Päuschen am Pazifik und weiter gehts steil hinauf zu den Klippen hoch über dem Meer. Die zusätzlichen 20 Kilo Rucksack machen uns schwer zu schaffen, besonders bergauf ist jeder Schritt mühsam und wir kommen nur sehr langsam voran. Erschwerend sind die grossen Steine, die riesigen Baumstämme, welche kreuz und quer überall herumliegen und ein von Wurzelwerk durchflochtener Weg. Entschädigung bietet der Weg auf den Klippen mit grandiosem Blick auf die Juan De Fuca Strait. Nach nur 2 km, für die wir aber fast eine Stunde brauchten, erreichen wir Mystic Beach. Hier gibt es Toilettenhäuschen, aber keine Campmöglichkeit. Langsam wird uns klar, warum man für die 9 km der ersten Etappe fast einen ganzen Tag braucht…Weiter gehts tiefer in den Regenwald, immer wieder runter in eines der zahlreichen Flusstäler und dann wieder rauf. Immer öfter kommt mir der Gedanke an Umkehr, doch irgenwann haben wir über die Hälfte der Etappe, wir beissen die Zähne zusammen, zurück gibt es nicht! Schliesslich sind wir nicht aus Pappe und Indianer kennt keinen Schmerz.
Nach 7 Stunden erreichen wir endlich Bear Beach, völlig erschöpft suchen wir uns ein passendes Plätzchen am Strand für unser Zelt. Endlich Füsse aus den Schuhen, Zelt rasch aufgebaut und dann gibts erst mal heissen Tee und lecker China-Fertigsuppe. Bis auf Ellen und Carol treffen wir alle aus dem Bus wieder, plaudern ein wenig und stellen fest, dass auch die anderen ziemlich fertig sind.
“Mampfvorräte bärensicher aufhängen bevor es dunkel wird” heisst die nächste Herausforderung…
Nach mehreren erfolglosen Versuchen schaffen wir auch das, satt und zufrieden geniessen wir die Abenddämmerung.
Sehr spät, es ist schon fast dunkel, treffen – fix und fertig – auch Ellen und Carol ein. Die zwei versuchen verzweifelt, ihre Vorräte über einen Ast zu hängen, nach zig Versuchen erbarmt sich Pascal und stellt seine neu erlernte Fähigkeit unter Beweis. Meine Güte, was die an Fressalien mitschleppen! Käserollen, Salamiprügel, Kekse, unterschiedliche Brotsorten etc., das ganze Sortiment wiegt etwa das dreifache des Unseren. Etwas neidisch sind wir schon auf die Leckereien, schleppen wollen wir das allerdings nicht!
Total müde verkriechen wir uns dann in unsere kuscheligen Schlafsäcke und schnarchen sofort weg.
25.8.2003 – Trail 2.Etappe /Chin Creek
Es ist noch dunkel, die Nacht im Zelt war ruhig und erholsam, aber der Gedanke an frisch gebrühten Kaffee lässt mir keine Ruhe mehr. Anyway, raus aus dem Schlafsack und ran an die Vorräte am Ast. Nur, so locker gehts an diesem Morgen nicht. Alles schmerzt, die Wirbelsäule streikt und ich krieche auf allen Vieren aus dem Zelt. Zum Glück ist ausser mir noch keiner auf den Beinen, es dauert ne Weile, bis ich meinen Standpunkt gefunden hab, aber nach der ersten Tasse Kaffee regen sich die Lebensgeister – und die Zweifel.
Ob ich die nächste Etappe schaffe? Diese soll die härteste des Trails sein…
Langsam kommen auch die anderen Mittrailer in die Gänge, Ellen und Carol packen fluchend ihr Frühstück aus und mir gehen fast die Augen über, als die ganzen Leckereien auf einem Baumstamm ausgebreitet daliegen. Während des Frühstückschwatzes erzählen uns die Beiden von ihrem Entschluss, den heutigen Tag und eine weitere Nacht am Strand zu verbringen und dann wieder zum Trailhead zurückzulaufen. Sie hatten sich das alles einfacher vorgestellt und fühlen sich körperlich nicht in der Lage, den Trail weiterzugehen.
Und wir dürfen uns von ihrem Futter alles nehmen, was wir brauchen! Je leichter der Rucksack, desto einfacher der Rückweg…das lassen wir uns nicht zweimal sagen, sind wir nahrungstechnisch doch eher dürftig bestückt.
Zu allem Überfluss wurde ich am Tag zuvor noch von der Mens überrascht, Frauenblut riechen die Bären scheinbar besonders gut und gerne, ich fühl mich wie durch den Fleischwolf gedreht und zu dem Rücken- und Bauchübel gesellen sich noch stechende Kopfschmerzen.
Ich will aber unbedingt weitergehen und nach intensiven Frauengesprächen zieht Carol ihre Pillenbox raus und offereriert mir ein buntes Sammelsurium an Tabletten jeglicher Form, Geschmacksrichtung, Couleur und Grösse. Nicht etwa einzeln verpackt, sondern alle zusammen in einer Schachtel. Die entsprechende Indikation ermittelt sie anhand der Farben…Naja, schlimmer werden kanns eigentlich nicht, ich spül die von ihr angepriesene Wunderpille mit dem letzten Rest Kaffee runter, steck vorrätig noch ein paar davon ein und dann wird emsig zusammengepackt und nach herzlichem Abschied gehts weiter.
Die anstrengendsten 18km des Trails erwarten uns. Erst mal gehts über ein weites Feld Treibholz am Strand, ein exotischer, schweisstreibender Hürdenlauft. Jeder einzelne der zahllosen riesigen Baumstämme mus überklettert werden. Wir sind froh, als wir dann die Leiter zu den Klippen erklimmen, endlich sind wir auf dem Weg. Wieder erwarten uns atemberaubende Blicke auf den Pazifik, das Rauschen der Brandung begleitet uns.
Die nächsten Kilometer geht es unentwegt auf und ab, runter zu den Creeks, über Hängebrücken, dann wieder rauf, zum Teil über steile Leitern. Wir durchwaten Schlammlöcher, sinken in knietiefen Morast, rutschen an den steilen, moddrigen Hängen aus, das Aufstehen mit dem Packen auf dem Rücken erinnert teilweise an Akrobatik.
Immerhin, das Wetter spielt mit, es ist angenehm warm und sonnig.
Nur sehr langsam und mühsam kommen wir in diesem Gelände vorwärts.
Irgendwann, nachmittags, laufen wir nur noch wie in Trance, Schritt für Schritt, die Füsse fühlen sich an wie Bleiklumpen, wir sind am Ende unserer Kräfte und wollen aufgeben. Aber das geht nicht. Also motivieren wir uns gegenseitig, mal laufe ich vorneweg und Pascal trottet hinter mir her und dann wieder umgekehrt.
Endlich, nach langen 8 Stunden, erreichen wir völlig erschöpft und hungrig Sombrio Beach, wo wir uns erst mal die dampfenden Schuhe von den Füssen schmeissen und uns Tee und Nudeln mit Sauce kochen. Es schmeckt fantastisch!
Adam und June sind auch schon da, ein kleiner Schwatz, dann gehts frisch gestärkt an den Nachtlagerbau. Schnell noch ne Katzenwäsche im kalten Pazifik, die Fressalien übern Ast gezogen und schon liegen wir völlig glücklich in unseren kuscheligen Schlafsäcken und fallen sofort in einen tiefen Schlaf.
26.8.2003 – Trail 3.Etappe/Kutshie Creek
Der erste Blick aus dem Zelt morgens früh verheisst nichts Gutes. Der Himmel ist grau, dichter Nebel gibt den Blick nur wenige Meter um unser Lager frei, feiner Nieselregen dringt schnell durch die Kleider. Zum Glück haben wir tolle Ponchos dabei, die man auch als Tarp verwenden kann. Wir spannen uns schnell ein Dach, holen das Frühstück vom Baum und stärken uns mit heissem Kaffee, Pancakes, Wurst und Käse. Die Motivation ist nicht sonderlich gross, in dieser Suppe aufzubrechen, aber je länger wir sitzen, desto mehr durchdringt uns die Feuchtigkeit und Kälte. Missmutig brechen wir unser Lager ab und machen uns erneut auf die nächsten 12 km Weg.
Diese Etappe ist im Vergleich zu der vorigen einfacher, doch die Feuchtigkeit macht den Boden gefährlich rutschig. Der Weg führt häufig über etwas angeflachte, mit Algen und Moosen überzogene Baumstämme, auf denen wir kleine Senken überqueren müssen. Unser Gleichgewichtssinn wird bei diesen schlüpfrigen Balanceakten aufs äusserste gefordert.
Gegen Mittag wird das Wetter besser, der Himmel klart auf, es hört auf zu regnen und die Lebensgeister kehren zurück.
Nur eine Handvoll Wanderer begegnen uns auf dieser Strecke.
Eine vierköpfige Gruppe warnt uns vor einem Bär, der sich ihnen in den Weg stellte und erst nach längerem, guten Zureden im Gebüsch verschwand.
Unser Adrenalinspiegel steigt schlagartig, wir unterhalten uns laut, und äusserst wachsam bewältigen wir relativ mühelos und bärenfrei die die letzten Kilometer.
Es ist schon fast dunkel, als wir unser Lager aufschlagen, dieses mal im Wald. Etwas mulmig ist uns schon, müssen wir doch noch nach dem Abendessen unsere Vorräte am Bearpole aufhängen und die Toilettenhäuschen aufsuchen, die aber nur durch dichtes Dickicht, etwa 100 m vom Zelt entfernt, zu erreichen sind.
Der Geruch menschlicher Excremente lockt die Bären an, wie wir inzwischen wissen…
Doch mit Stirnlampen bewaffnet plappern wir uns Mut zu und erledigen rasch unser Geschäft.
Als wir uns in die Schlafsäcke trollen, wirkt es irgendwie beruhigend, Adam und June’s Zelt ein paar Meter von unserem zu wissen.
Der Schlaf ist diese Nacht eher oberflächlich, regelmässig wird er durch undefinierbare Geräusche, Rascheln und Knacken unterbrochen.
Mitten in der Nacht werde ich plötzlich von lautem Knacken und hörbaren Schritten aus dem Schlaf gerissen. Erst rast mein Puls, dann bleibt für Sekunden mein Herz stehen! Das MUSS ein Bär sein! Ich halte den Atem an und lausche. Pascal ist inzwischen auch wach, wir sind mucksmäuschenstill, wie versteinert.
Nach einigen Minuten lüftet sich das Geheimnis: unsere Nachbarn bauen ihr Zelt ab…puh! Es dauert ne Weile, bis wir uns beruhigt haben, schlummern dann aber den Rest der Nacht ungestört durch bis zum Morgengrauen.
27.8.2003 – Trail 4.Etappe/Botanical Beach
Gut gelaunt brechen wir früh morgens unser Zelt ab und bereiten unser letztes Frühstück auf dem Trail. Als wir am Bear-Pole unseren Fresssack runterlassen, staunen wir nicht schlecht: der Sack – ein fast unkaputtbarer – ist total zerlöchert und im Inneren finden wir die kläglichen Überreste unserer Müsliriegel. Alle Vorräte inklusive der Verpackungen sind angeknabbert. Keine Bären, sondern freche, hungrige Squirrels hatten sich nachts wohl an unseren Leckereien vergriffen. Nicht weiter schlimm, heute sollte unsere letzte Etappe sein und was sie uns übrigliessen, reicht gut für den Tag.
Nach dem Frühstück geht es erst mal wieder durch den Wald, wir entfernen uns etwas von der Küste. Die Sonne lacht, als wir aus dem dunklen Wald langsam in lichteres Buschgelände kommen. Hier waren wohl irgendwann die Holzfäller am Werk, aber wir geniessen es, mal wieder warme Sonnenstrahlen zu spüren.
Auf einer Lichtung legen wir eine Vesperpause ein und treffen dort auf ein älteres Ehepaar, mit denen wir uns angeregt über unsere Reise, dies und jenes unterhalten. Während des Gesprächs erfahren wir, dass die Frau gebürtige Deutsche ist, schon lange in Kanada lebt, aber sich durchaus noch auf deutsch verständigen kann. Sie erzählt uns, in der näheren Umgebung treibe sich ein etwas aufdringlicher Bär rum und gibt uns Tipps, wie wir uns im Falle einer Begegnung verhalten sollten. Dreimal in die Hände klatschen, falls er sich nicht trollt, ist ihre Devise.
Wir verabschieden uns, packen unseren Kram zusammen und weiter gehts. Von da an ist der Weg gepflastert mit Bärendreck.Riesige, frische Häufen liegen überall herum, zu beiden Seiten des Weges wachsen üppige Beerenbüsche – eindeutig Bärengebiet.
Wir sind wachsam und unterhalten uns laut oder singen. Nach einer 90-Grad-Kurve packt mich Pascal plötzlich wortlos am Ärmel und bleibt aprupt stehen. Ich verstehe erst nicht, schaue dann nach vorn – und da steht er. Ein riesiges Exemplar von Braunbär, mitten im Weg aufgerichtet, etwa 20 m vor uns. Wir sind erst mal wie gelähmt, dann reagieren wir genau so, wie wir es nicht tun sollten – drehen uns instinktiv um und laufen weg.. Nach einigen Metern setzt mein Ratio wieder ein und ich befehle Pascal: stehen bleiben und sofort umdrehen! Der Bär steht immer noch da, also klatsch ich, wie kurz zuvor gelernt, dreimal in die Hände, und siehe da – er trollt sich ins Gebüsch – puh!
Mit etwas zittrigen Knien laufen wir weiter. Das Gelände ist jetzt relativ einfach zu gehen, meist eben und über häufig über Boardwalks. Auf einem schlammigen Stück Waldweg sind deutlich frische Pumaspuren in den Boden graviert, toll. Obwohl wir ihn gerne sehen würden, sind wir uns im Klaren, dass dies tödlich werden könnte. Pumas lungern meist in den Bäumen rum, und da man als Wanderer eher auf den Weg als in die Luft schauen sollte, bekommt man sie so gut wie nie zu Gesicht. Wenn sie angreifen, lassen sie sich zielgenau auf die Beute herunterfallen und beissen sich im Genick fest. Das geht selten gut aus. Also, sind wir froh, dass wir nur seine Abdrücke sehen.
Nach einem langen Tag kommen wir gegen Abend endlich zu Ende des Trails. Wir sind wieder am Pazifik und ein dichter Nebel hat sich zwischenzeitlich gebildet.
Völlig platt wünschen wir uns nur eines: Rucksack und Schuhe runter, eine warme Dusche, ein kaltes Bier und dann ein kuschliges Bett. Port Renfrew ist aber noch drei Kilometer weit weg. Also kneifen wir alle Backen zusammen und laufen die Strasse entlang, immer vor uns hin träumend, ein Auto würde jetzt aus dem Nebel tauchen, und uns mitnehmen.
Einige Minuten später taucht ein Auto aus dem Nebel auf, fährt an uns vorbei und – hält an!
Wir können es kaum fassen und sind überglücklich – drei Studenten, auf der Rückfahrt von einem Camp, sammeln uns ein und liefern uns in Port Renfrew ab.
Dort hab ich uns schon ein Hostel ausgeguckt, in dem wir übernachten wollen. Zuerst gibts in der Bar aber das heissersehnte, kalte Bier. Als ich nebenbei nach dem Zimmer frag, erfahr ich, dass in der Hütte kurz zuvor ein Brand wütete, der die Zimmer vorrübergehend unbewohnbar machte.
Mist – das heisst: nochmal laufen. Das Nest ist nicht wirklich gross, so finden wir nach kurzem Suchen ein Motel mit zugehörigem Restaurant. Da die Küche schon dicht gemacht hat, kochen wir uns vor der Tür noch eine Suppe, wefen uns mit letzter Kraft unter die Dusche und freuen uns wie wild auf das rieige, tolle Bett.
Zu früh gefreut, die Nacht wird relativ schlafarm. Wir haben uns so an das Nächtigen im Zelt gewöhnt, dass wir den Schlaf im weichen Bett im nicht finden. So packen wir die Iso-Matten aus und legen uns auf den Boden, und – schnarchen sofort weg
Danach…
…verbringen wir noch 2 Tage in Port Renfrew, treffen dort zu unserer Überraschung und Freude die 2 Ladies wieder, die uns ihre Köstlichkeiten am Anfang des Trails überlassen haben. Dann geht es wieder zurück mit dem Bus nach Victoria. Wir mieten uns ein Auto und fahren nördlich über Port Alberni nach Tofino. Ein Paradies!
Wir vertreiben uns die Tage mit Whale Watching, rumgammeln am Long Beach und treffen bei der Erkundung dieses hübschen Erdfleckens auf eine Waschbärbande, Leuchttürme, Indianer, Fjorde und finden uns zufällig eines nachts in einem mystischen Lichter- und Laternenfest wieder. Auf der Rückfahrt werd ich bei Port Alberni mit Sirenen von einem Polizeifahrzeug gestoppt, muss 120$ Berappen, weil ich in der 50er Zone 80 gefahren bin. Nach einem netten Plausch mit dem Cop lässt er sich auf 80$ runterhandeln. Zurück nach Victoria ins Ocean Island , dann nach Vancouver, wo wir noch 2 Tage verbringen. Danach geht es endgültig zurück nach Good Old Germany.