Einfach mal die Schlucht rocken oder alles am Fluss.
Der rätoromanische Name ,,Ruinaulta“ ist zusammengesetzt aus den beiden Wörtern ,,Ruina“ (Geröllhalde/Steinbruch) und ,,aulta“ (hoch).
Punkt 9 Uhr starteten wir am Bahnhof Ilanz bei frühsommerlichem Wetter, bewaffnet mit Stöcken, viel Vorfreude und einem Startgipfeli.
Auch eine Daunenjacke schlummerte tief in meinem Rucksack, konnte ich es doch nicht so recht glauben, heute den Sommerausbruch zu erleben.
Bis Valendas folgten wir dem altbekannten Weg neben der Bahnlinie, im Fleece und langer Hose. Doch allmählich wurden wir immer öfter von ungewohnten Hitzewallungen geplagt. Ein Schweißausbruch jagte den anderen.
Diese Hitze. Ich hasse alles an ihr. Sollte mich mal jemand fragen, was das Schönste an der Corona-Zeit war, wird die Antwort lauten ,,ein wunderbar kalter April“.
Nun, wir hatten ja noch Reserven. Der Wanderfreund riss sich die lange Hosen vom Leib und tauschte sie gegen eine Hotpants. Ich entledigte mich meiner Jacke inklusive langärmligen Oberteils. Meine Beine ziehen scharfkantige Wasauchimmer magisch an. An nichts Grobem oder Stacheligem kommen sie vorbei, ohne sich daran genüsslich zu reiben. Deshalb muss ich sie immer mit Hosenbeinen vor der Selbstzerstörung schützen. Die Hosenbeine gehören zu einer Wunderhose. Sommers wie winters trage ich sie seit Jahren, sowohl im Himalaya als auch in den Alpen. Bin schon mehrfach auf dem Hosenboden und auf den Knien damit gerutscht. Kein Loch, kein Riss, nix. Wird sie nass, ist sie 5 Minuten später wieder trocken. Im Winter friere ich selten darin und im Sommer ist sie ein luftiges Nichts. Eine Wunderwanderhose eben.
Erleichtert marschierten wir weiter, bis uns der einsetzende Hungerast zu einer weiteren Pause einlud. Hinter dem Bahnhof Versam, an einem der vielen, lauschigen Plätzchen am Ufer des jungen, wilden Rheins, ließen wir uns zur Stärkung nieder.
Danach kam der spannende Teil der Tour, den geplanten Weg kannte ich noch nicht. Beim Chrummwag-Tunnel ging es in Serpentinen steil hinauf zum Aussichtspunkt Islabord, von wo wir einen sensationellen Tiefblick in die imposante Schlucht mit ihren schroffen und faszinierenden Felswänden genossen. Weiter gings auf schmalem, steilen Waldpfad hinauf nach Versam. Als wir aus dem Wald hinaustraten, wähnten wir uns in einer anderen Welt. Lieblich und verträumt lag das Tor zum Safiental vor uns. Wir durchqueren das Dorf Versam, spazierten an wunderschönen, alten Holzhäusern vorbei bis kurz nach der Post der Wanderweg zur Versamertobelbrücke abzweigt. Diesem Weg folgten wir, zuerst über Wiesen, später über Rossboda durch den Wald hinunter zur Brücke, welche die Rabiusa, ein Nebenfluss des Rheins, überspannt.
Nach der Brücke folgten wir zuerst der Strasse, bis wir rechts eine Abzweigung auf einen Wanderweg fanden. In der Annahme, dieser Weg führe oberhalb der Strasse als verkehrsarme Alternative für Wanderer, entschieden wir uns, hier zu gehen.
Zu früh gefreut! Als der Aufstieg nicht enden wollte, kamen mir erhebliche Zweifel. Ich befragte das Navi. Es sagte mir, geht wieder zurück, denn dieser Weg führt nicht ans Ziel…jedenfalls nicht in angemessener Zeit…runter auf die Strasse mit euch! Nicht so schlimm, hatten wir doch so noch ein paar zusätzliche Höhenmeter geschruppt.
Wie auf den meisten Gebirgsstrassen ging es auch hier ziemlich eng zu.
Die folgende, kühne Passage war ebenso atemberaubend wie respekteinflössend, mussten wir doch mit Autos und zahlreichen Motorrädern den schmalen Asphalt teilen.
Die in den Jahren 1880/81 mit viel Aufwand erstellte Fahrstrasse rund um das Versamer Tobel gehört zu den spektakulärsten Verkehrserschliessungen in den Schweizer Alpen. Sie bietet alles, was eine echte Gebirgsstrasse ausmacht: Mauerwerke, Serpentinen, Tunnels, Brücken und spektakuläre Panoramen mit jähen Abstürzen, senkrechten Felswänden und tiefen Tobeln.
Irgendwann änderte sich dann das Landschaftsbild, aus der schroffen Felslandschaft hinaus führte links ein Wanderweg in den Wald. Der letzte, steile Abstieg sollte uns wieder hinunter an den Rhein und dann über eine Hängebrücke nach Trin Station bringen.
Nun wurde es nochmal spannend. Bei der Tourenplanung war diese Brücke eindeutig zu sehen, auch Google kannte sie. Allerdings war bisher auf keinem der Wanderwegeiser ein Hinweis darauf zu finden. Als mein Wanderfreund Zweifel an meinem Planungstalent äusserte, beruhigte ich ihn und spekulierte, der Hinweis sei erst auf dem letzten Schild vor der Brücke vermerkt.
Bingo! Meine hellseherischen Fähigkeiten brachten mich wieder ein paar Punkte dem Planungs-Highscore näher und dem Freund plumpste deutlich hörbar ein Stein vom Herzen, als wir die Brücke erreichten.
Nach 7 Stunden und 24 Kilometern hatten wir eine längere Pause verdient. An der Bahnhofsbeiz ließen wir den ersten Zug vorbeifahren und gönnten uns erst mal ein erfrischendes, gemütliches Bier.