von Bivio nach Vicosoprano
Wie jedes Jahr war ich erfüllt mit Vorfreude auf die Jahreswanderung mit Gudrun. Nun war es wieder soweit. Die zwei schönsten Etappen der Via Sett warteten auf uns. Von Bivio über den Septimerpass nach Vicosoprano und anschliessend durchs Bergell nach Chiavenna.
Früher war der Septimerpass im Kanton Graubünden einer der wichtigsten Alpenübergänge. Heute ist es hier still geworden, sehr zur Freude von Murmeltieren und Wanderern.
Noch schien die Sonne, als wir uns frühmorgens auf den Weg machten, erst Richtung Rheintal, dann der Julierpassstrasse folgend.
Die Sonne schien auch noch in Bivio, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung. Auf dem geräumigen, kostenfreien Parkplatz in der Mitte des Dorfs parkierten wir, zogen die Wanderstiefel an und trabten los.
Nach ein paar Metern zeigte uns ein Mädchen auf einem haushohen Mural den Weg. Beeindruckt blieben wir stehen. Ein alter Mann kam auf uns zu und erklärte, das abgebildete Mädchen sei seine Enkelin. Zu meiner Freude liess er sich bereitwillig vor dem Wandgemälde ablichten. Das Mural entstand anlässlich des jährlich in Bivio stattfindenden Felsenfests Parc Ela.
Noch immer schien die Sonne, als wir aus dem Dorf hinauswanderten, hinein in eines der schönsten Hochtäler der Alpen. Gemütlich ging es voran, vorbei an einzelnen Höfen, üppigen Blumenwiesen und grasenden Kühen. In Zeiten, in denen so viele Wege überlaufen sind, ist diese Gegend eine einzige Wohltat. Nur wenige Menschen begegneten uns.
Als wir uns nach ca. 600 Höhenmetern der Passhöhe näherten, machte sich die Sonne rar, Wolken brauten sich zusammen und fernes Donnergrollen kündete vom nahen Ende des freundlichen Wetters.
Ein kurzes, regenfreies Vesper war uns noch vergönnt, aber kaum hatten wir uns wasserabweisend verhüllt, ging es auch schon los, das volle Programm. Regen, Graupel, Wind, Blitz und Donner begleiteten uns durch die grandiose Einöde.
Oben am Pass, auf 2.310 m, belohnte kein umwerfender Blick auf ein herrliches Panorama für all die Mühe.
Still und stumm versteckten sich die mächtigen Dreitausender des Bergell hinter grauen Schleiern. Nur manchmal zerriss das Pfeifen der Murmeltiere und das Donnergrollen die Stille.
Einsam gingen wir unserer Schritte, wie auf einer Zeitreise durch ein anderes Jahrhundert, schlichen langsam durchs graue Nass hinunter Richtung Italien.
Der Regen hatte aufgehört und die Wolken hatten sich zwischenzeitlich gelichtet, als wir völlig durchnässt nach 1.300 m Abstieg unser erstes Etappenziel, das Albergo Piz Cam in Vicosoprano, erreichten.
Köstliche Gnocchi und ein Bier entschädigten und weckten die Lebensgeister.
Mit inzwischen trockenen Kleidern liessen wir den Abend mit einem Rundgang durch das idyllische Dorf ausklingen.