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Mehrtagestour

Vindelfjällen

Swedish – Für Angefangenen und Fortgesrittenen

Hardrock aus den Stöpseln beschallte meine Ohren bis kurz nach Mitternacht. Um mich wach zu halten für den richtigen Zeitpunkt. Eine ausgezeichnete Methode.

Die anderen schliefen tief und fest, als ich mich aus der Dunkelheit der warmen Stuga in die helle Nacht schlich. Dick eingemummt suchte ich für die Kamera einen geeigneten Liegeplatz. Nach einer Stunde Warten in eisiger Kälte wurde ich belohnt. Neongrüne Streifen irrlichterten durch die klare Polarnacht. Erst zaghaft nur, dann zunehmend kräftiger.
Der Himmel flammte so unfassbar schön, dass ich keine Worte fand. Musste ich auch nicht. Keine Stirnlampen und kein Geplapper störten das grossartige Schauspiel.
Gerne hätte ich die ganze Nacht draussen in den Himmel geschaut und mit den Sternen getanzt, mich staunend verzaubern lassen von magischen Lichtern. Doch irgendwann kroch die Kälte auch unter die letzte Zwiebelschicht und sorgte für Entzauberung. Als die eisigen Finger den Auslöser der Kamera nicht mehr fanden, trat ich den Rückzug in den wärmenden Schlafsack an.

Eine Woche Wintertour in Schwedisch-Lappland hatte ich gebucht. Fünf Tage mit Schneeschuhen, Pulka und Huskys durchs Vindelfjällen, ein Naturreservat und Hochplateau im Nordwesten der Provinz Västerbottens län in Schwedisch-Lappland.
Michael pflückte uns am Flughafen Luleå mit einer Stunde Verspätung auf. Sechs Abenteuerwillige fuhren dann mit dem Kleinbus in ca. 1 Stunde nach Älvsbyn ins Guesthouse, wo noch drei weitere Teilnehmer warteten.
Nach dem Abendessen rief Anke zur Tourbesprechung.

Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, Angie, Tourguide aus der Schweiz übernahm die Zeltgruppe und Anke die Huskygeher und Hüttenschläfer, zu denen auch ich zählte.

Anke und Michael sind vor 21 Jahren nach Lappland ausgewandert und bauten sich dort eine Existenz als Tourenanbieter auf. Mit den zwei Huskys Baffin und Tharla leben sie in Älvsbyn in einem kleinen Häuschen am Fluss.

Vier Stunden Fahrt mit zwei Transportern brachten uns am nächsten Morgen nach Ammarnäs. Rentierherden belagerten die vereisten Strassen. In Ammarnäs beluden wir die Pulkas und schnallten die Schneeschuhe an. Zu sechst zogen wir los, machten uns auf den Weg ins Vindelfjällen, zur Rävfallsstugan.

Es geht ziemlich eben durch lichten Birkenwald, wir folgen dem Fluss Vindelälven. Der Schnee ist unter den ungewöhnlich hohen Temperaturen der letzten Tage schwer geworden. Wir schwitzen, sind alle viel zu warm angezogen. Mein Husky Baffin tobt los, wittert links Schneehühner und rechts Vielfrasse, nach einigen Kilometern läuft er dann ruhig und rhythmisch hinter Ankes Pulka her. 16 Kilometer weiter erreichen wir die Rävfallsstugan, eine grosse Selbstversorgerhütte mit drei Lagern. Die zweite Gruppe ist schon da.
Holz sägen, hacken, anheizen, Schnee auftauen, Essen kochen. Es dauert, bis wir unseren Hunger stillen können. Nach dem Abendessen ist Krisensitzung. Schwerer Sturm ist vorhergesagt. Plan B wird geschmiedet: statt in die nächste Hütte zu laufen, nur ein Tagesausflug aufs Hochfjäll und zur Hütte zurück.

Der Sturm rüttelt an der Stuga und pfeift durchs Kamin, als wir müde in die Schlafsäcke kriechen. Lange noch lausche ich der stürmischen Nachtmusik.

Die Zeltgruppe ist schon zur nächsten Hütte aufgebrochen, als wir am nächsten Morgen auf’s Hochfjäll loswandern. Ohne Pulkas, nur mit leichten Rucksäcken, läuft es sich unbeschwert. Baffin und Tharla sind dabei, freudig toben sie über die windgeschliffenen Hochflächen und suchen aufgeregt nach Beute. Oben angekommen, pustet uns der Sturm unerbittlich in die Flanken. Weitergehen wäre zu riskant. Wir machen kehrt und gehen auf gleichem Weg zurück. Kurz vor der Hütte passieren wir die Sauna am Fluss. Anke heizt ein und nach dem Abendessen geniessen wir zu viert die Hitze der Nacht.

Am Mittwochmorgen nach dem Frühstück verschärfte Krisensitzung. Anke kräuselt angesichts der vorhergesagten Windgeschwindigkeiten die Stirn und zieht sich zur telefonischen Lagebesprchung zurück. Etwas ratlos schauen wir uns an, dann beschließen wir, die Entscheidungshoheit zu übernehmen und einen Tag in der Hütte zu verbringen. Anke seufzt sichtbar erleichtert.
Zum Glück sind wir eine ziemlich homogene Gruppe. Schnee schmelzen, kochen, plaudern, Holz zerkleinern anfeuern – alles läuft wie geschmiert.

Wir sind froh, als nachmittags auch die Zeltgruppe wieder unbeschadet eintrudelt. Abends verirren sich zaghaft Polarlichter am phänomenalen Nord-Sternenhimmel und alle sind mit den Kameras draussen, staunen und langzeitbelichten was der Himmel hergibt und das Zeug hält. Mitternachts treibt es mich nochmal in die Kälte, in der Hoffnung auf grandiose Lichtspektakel und Wanderungen auf Milchstrassen.
Diese Sternstunde wird der fulminante Höhepunkt. Bis kurz vor dem Einfrieren sauge ich das tanzende Universum in mir auf.

Am nächsten Morgen legt sich der Sturm zur Ruhe. Kälter ist es geworden und besseres Wetter wurde vorhergesagt. Wir hoffen und gehen in der Grossgruppe gegen 11 Uhr los, den Kungsleden entlang, zum Berg Stalluoållgie. Baffin rennt den Berg hinauf, ich völlig atemlos hinterher. Auf ca. 1.000 m machen wir Rast und betrachten nebulöse Landschaften. Die Sonne verliert sich immer wieder hinter dichter Wolkendecke. Wenn der Nebel für Momente zerreißt, gibt das Zwielicht imposante Impressionen schemenhafter Bergsilhouetten und Flußtäler frei.

Baffin und Tharla geniessen auf dem Rückweg die Freiheit, stürmen die weiten Hochflächen und sind auf ihrer Jagd nach Schneehühnern und Vielfrassen kaum zu bändigen.
Am Abend heizen wir nochmals die Sauna ein, geniessen den Kontrast von Eis und Heiss, wälzen uns zwischendurch mit lautem Geschrei im Schnee.
Zurück bei der Hütte ist dort bereits die Nachtruhe eingekehrt. Auf dem Herd stehen noch leckere Reste des Abendessens. Maria und ich schleichen uns zum Topf, hauen uns eine ordentliche Portion auf die Teller und mampfen kichernd draussen vor der Hütte. Eine genüssliche Zeitreisen in die albernen Heimlichkeiten früherer Jugendlager.

Der letzte Morgen auf der Hütte beginnt nach kurzem Frühstück mit geschäftigem Packen und Aufräumen. Nachdem alles verstaut ist, verlassen wir zeitig die Hütte und gehen zügig auf bekanntem Weg zurück nach Ammanäs. Dort verstauen wir die Ausrüstung und die Hunde im Transporter und bei zunehmend aufklarendem Wetter und schönster Abendstimmung fahren wir in dreieinhalb Stunden zurück ins Guesthouse nach Älvsbyn. Nach augiebiger Dusche und gemeinsamen Abendessen sitzen wir noch lange zusammen und klönen, über die Tour, über andere Touren, Gott und die Welt.

Am letzten Tag fährt uns Michael morgens bei wunderbar kaltem Wetter nach Luleå zum Flughafen, von wo wir die restliche Heimreise antreten.