Aus dem Buch: „Hardcore Zen: Punkrock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles“ von Brad Warner
„Nichts ist heilig. Zweifel – an allem – ist absolut notwendig. Alles, ganz egal wie großartig, fundamental, schön oder wichtig es auch sein mag, muss in Frage gestellt werden.
Denn nur dann, wenn Menschen denken, ihre Überzeugungen seien über jeden Zweifel erhaben, können sie wirklich so schrecklich sein, wie sie es unserem Wissen nach können. Glaube ist die Kraft hinter allem Übel, das die Menschheit jemals angerichtet hat. In der Geschichte der Menschheit findet sich keine einzige richtig üble Tat, die nicht dem Glauben entspringt – und je stärker ihr Glaube, desto schlimmer können Menschen sein.
Hier ist eine meiner Überzeugungen: Alles ist heilig. Jeder Grashalm, jede Küchenschabe, jedes Staubkorn, jede Blume, jedes Schlammloch vor einem Graffiti besprühten Lagerhaus ist Gott. Jeder Gegenstand ist ein der Verehrung würdiges Objekt. Wenn du dich nicht vor einem überfahrenen Tier auf der A3 verbeugen kannst, das bereits verwest, hast du kein Recht, in Leder gebundene Wälzer und Marmor-Ikonen in bunten Glaskästen zu verehren.
Und hier ist noch eine: Alles ist profan. „Den Planeten retten“ ist reine Zeitverschwendung und die Umwelt zu erhalten Energievergeudung. Blumen stinken und Vogelgezwitscher ist nervtötender Lärm.
Andererseits ist nichts heilig und auch nichts profan. Nicht mal dein erbärmlicher Arsch. Sobald wir irgendetwas für heiliger halten als alles andere, fahren wir auf dem schnellsten Weg der Hölle entgegen. Und mit „irgendetwas“ meine ich alles – unsere Familie, unsere Freunde, unser Land, unseren Gott. Wir können diese Dinge, im Vergleich zu allen anderen Dingen, denen wir in unserem Leben begegnen, nicht als heiliger ansehen, oder wir sind dem Untergang geweiht. Es geht mir hierbei nicht um den dramatischen Effekt. Der Akt, überhaupt irgendeiner Sache mehr Respekt entgegenzubringen als einer anderen, ist der erste Schritt hinunter auf dem kurzen und glitschigen Pfad zur vollständigen Vernichtung der gesamten Menschheit.
Wenn du etwas als heilig ansiehst, versuchst du, dieses Etwas vom Rest des Universums zu trennen. Aber das lässt sich nicht machen. Nichts kann von allem Übrigen getrennt werden.
Du kannst Gott unmöglich ehren, wenn du nicht dazu fähig bist, jede einzelne seiner Erscheinungsformen zu ehren. Jemanden in Gottes Namen zu töten ist lächerlich. Wenn wir das tun, töten wir Gott und töten die Wahrheit. Doch was ist die Wahrheit? Was ist Gott? Wie kannst du diese erhabenen Ideen sehen, hören, riechen, schmecken, anfassen?
Die Wahrheit schreit euch von Reklametafeln mit Kippenwerbung ins Gesicht. Gott singt zu euch in Dudelversionen von Barry Manilow-Songs. Die Wahrheit kündigt sich an, wenn du eine herumliegende Dose Dominikaner-Pils wegkickst. Die Wahrheit regnet vom Himmel auf euch herab, und Gott formt sich in Pfützen zu euren Füßen. Du isst Gott und scheidest vier Stunden später die Wahrheit aus. Schnupper mal – was für einen lieblichen Duft die Wahrheit doch hat! Die Wahrheit ist die Wirklichkeit selbst. Gott ist die Wirklichkeit selbst. Erleuchtung ist übrigens auch die Wirklichkeit selbst. Und hier ist sie.“
~ Brad Warner