Kategorien
Tour

Chlosterspitz (1.326 m) & more…

Lockdown, föhnig

Mit den steigenden Temperaturen der letzten Tage und der sich androhenden Föhnwalze wurde das Finale des Winters endgültig eingeläutet.
Für Winterfreaks wie mich eine Zeit der Trauer und des Abschiednehmens.
Damit mich der Anblick der entblößten, bunten Landschaft und die prognostizierten Temperaturen von schweißtreibenden 15°C nicht zu sehr verstören würden, nehme ich mir heute statt der Schneeschuhe menschliche Unterstützung mit.

Nun, es kommt wie befürchtet. Wo vor 2 Wochen Kuhpfade, Wanderwege, Strassen und Hierarchien einheitlich unter elegantem, flauschigen Weiß verborgen waren, präsentiert sich das Appenzellerland heute in einem vulgären Grüngelbweißblau-Fummel.
Die wunderbaren, ehemals so stolzen, eiskalten Kristalle taugen in ihrem neuen, jämmerlichen Aggregatzustand  gerade noch dazu, den Untergrund in einen matschigen Erdwiesenbrei zu verwandeln.
Um uns an den ungewohnten Anblick langsam zu gewöhnen und die Rutschtechnik ohne zeitlichen Druck einüben zu können, plante ich eine Zweiphasen-Wanderung.
Erst soll es mit wenigen Höhenmetern und etwas mehr Kilometern von Steinegg in einer großen Runde zum Hohen Hirschberg und retour gehen.
Danach wollen wir entscheiden, ob wir noch mit wenigen Kilometern, aber etwas mehr Höhenmetern dem Chlosterspitz aufs Dach steigen.

Bei harmlosem Frühjahrswetter starten wir am Bahnhof in Steinegg zum ersten Teil, dem Spaziergang zum Hohen Hirschberg. Meine Freundin und geschätzte Premium-Wanderbegleitung, in Bergsteigerkreisen unter dem Pseudonym „Biwakschachtel“ agierend, hält mich bestens bei Laune. Man mag es kaum glauben, aber wir haben sogar Spaß, als wir über Meisterrüte spazieren, vorbei am Hof der Kampfkatze mit den alten Schulbüchern, durch saubere, strukturierte Landschaft, mit weit verstreuten, aufgeräumten Einzelhöfen.
Berge mit überzuckerten Gipfeln und grüne Almwiesen, stolze Appenzeller Bauernhäuser, geschmückt mit blumigen Fensterbänken, roten und grünen Fensterläden und geklöppelten Gardienen hinter den Scheiben. Eine Bilderbuchlandschaft, die wie kaum eine andere Region die typisch schweizerischen Klischees bedient. Um das Bild perfekt zu machen, fehlen einzig die Kühe auf den Almen.
Auf dem Hohen Hirschberg treffen wir auf ein munteres Grüppchen von Frischlüftlern, daneben tun sich grandiose Blicke aufs Alpsteingebirge auf. Hier wird geguckt, gevespert und gefreut. Ja richtig gelesen. Gefreut. Es nützt ja nichts, der Winter kommt ja auch nicht zurück, wenn man sich nicht freut.
Kaum haben wir unseren Picknickplatz coronakonform eingerichtet, kündigt sich Kollege Föhn mit den ersten Böen an. Schnell das Daunenjäckchen aus dem Rucksack gezerrt und schon trotzen wir auch diesem umtriebigen Gesellen.

Zurück latschen wir unspektakulär erst durch ein steiles Wäldchen, dann über Feldwege an Eggerstanden vorbei nach Steinegg. Ich fühle mich frisch wie am Morgen, so ist es eigentlich keine Frage, dass wir noch auf den Chlosterspitz gehen. Biwakschachtel ist zwar bekannt für ihre unerschöpfliche Energie, aber ich frage sie trotzdem. Sie sagt nein und du? Ich sage selbstverständlich. Und schon sind wir auf dem Weg. Auf steilem Waldweg hinauf zum Chlispitz, dann weiter zum Chlosterspitz. Ein schlichtes, mit Stacheldraht umwickeltes Holzkreuz markiert den Gipfel. Trotz des immer stärker blasenden Föhns wollen wir hier ein paar Minuten rasten. 
Unser omnipräsenter Säntis grüsst aus neuer Perspektive, den Kronberg erkennen wir in Verlängerung des breiten Grats, Hoher Kasten, Kamor, Fänerenspitz und Hirschberg auf der anderen Seite wirken entrückt.
Bevor wir uns auf den finalen Abstieg machen, beglückt uns noch ein freundlicher Mann mit einem Gipfelshooting. Er hätte seinen Abstieg nur wegen uns verzögert. Weil er wusste, dass wir Wünsche an ihn herantragen würden. Den Wunsch nach einem Bier oder Kafe Pflümli Schümli kann er uns aber leider nicht erfüllen, so steigt er auf der einen und wir auf der anderen Seite hinab in den Abend.
Nach der Suppe und dem Bier zuhause sind wir dann wunschlos glücklich