Unspektakulärer Gipfel mit spektakulärer Aussicht
…oder Europatreppe 4000, déja vu. Weil noch ein gültiges Pickerl an der Windschutzscheibe klebte, weil es letztes Mal so schön anstrengend war und weil das Wetter soo gut ist oder weil die Tage immer kürzer werden. Und weil es am Wochenende gewittern soll, weil Gewitter in den Bergen gar nicht gesund sind, weil ich einfach mal wieder neue Wege auskundschaften und knipsen wollte, was der Auslöser her gibt. Aber auch, weil ich einfach Lust hatte.
Und es wurde eine traumhaft schöne Bergtour!
Am Anfang war die Europatreppe 4000 – vor dem Spass kommt die Arbeit. Schon wieder diese 3609 Stufen, nicht schlecht zum Aufwärmen. Genau 1 Stunde Qual, dann bin ich oben. 10:42 Uhr eingestempelt, 11:42 Uhr ausgestempelt. 3 Minuten weniger als am Samstag. Um 12 Uhr fährt die letzte Vermunt-Bahn vor der Mittagspause runter. Was für ein Timing – grade Zeit genug für ein Vesper und einen Schluck aus der Pulle.
Nach der Pflicht kommt die Kür, Erst die Silvretta-Hochalpenstrasse hinauf – ein Fahrgenuss! – bis zur Bieler Höhe, dort war ich noch nie. Meine älteste Bergfreundin, die Lisbeth, erzählte mir immer wieder davon, von der Bieler Höhe, dem Lüner See, der Zimba, Tschangla und Schesaplana. Im Brandner Tal und Montafon war ihre zweite Heimat. Vor 3 Wochen, mit knapp 95, hat sie aufgehört zu erzählen.
Im Berggasthof Piz Buin einen sonnigen Kaffe und dann auf der anderen Strassenseite ein kurzes Stück am Silvretta-Stausee entlang. Am ersten Wegweiser links Richtung Getschnerscharte, erst in grosszügigen Serpentinen einen breiten Fahrweg entlang, dann erst rechts neben dem Bieltalbach und nach der Querung links steil hinauf. Der Steig führt zuerst über den Bachgraben des Weissen Bach aufwärts zum Runden Kopf (2376m). Danach geht es über drei weitläufige Schutt- und Rasenstufen zu den drei Ebenen der unteren, mittleren und oberen Henneseen. Von den obersten Seen aus steige ich über Schutt und Blockwerk in 15 Minuten bis in den Hennesattel (2630m). Von hier in wiederum 15 Minuten über den breiten Gipfelgrat zum Gipfel des Hennekopfs (2704m) mit großem Gipfelkreuz. Was für eine Aussichtskanzel ! Was für ein Rundblick: die Getschnerspitzen mit dem Ochsentaler Gletscher und die Madlenerspitze, Piz Buin und Hohes Rad, Vallüla, Grosser Litzner, Grosses Seehorn, Lobspitzen, Hochmaderer, Silvrettahorn, Silvrettastausee und Henneseen. Und alles meins. Dem letzten Wanderer begegnete ich eine halbe Stunde vor dem Gipfel.
Ich bin restlos begeistert und es fällt mir schwer, diesen schönen Flecken wieder zu verlassen. Auf dem Abstieg packe ich noch ein paar Steine in den Rucksack. Für die Lisbeth einen besonders schönen.