Eine Kolumne von Sibylle Berg
„Weihnachten. Runterzählen. Noch drei Sonnabendtexte. Dann jippi, Weihnachten. Auf allen Kanälen Filme: kleine Wichtel und traurige Roboter, weinende Rentiere und tote Omas.
Ein Windelhersteller spendet wieder pro verkaufter überteuerter Packung Impfdosen für Arme. Tränen. Ekel. Spendet doch einfach so, ihr Honks! Spendet oder fragt euch, warum in einigen Teilen der Welt Babys sterben, weil es keine Impfung für vier Euro gibt, während anderswo eine Ladung Babykot fast genauso viel wert ist.
Man kann nicht alle retten. Uns geht es auch nicht gold. In den Innenstädten der deutschsprachigen Länder kann man die Menschen mit ihren Abstiegsängsten besichtigen, sie schleppen Tüten voller Zeug, sie schwitzen, sie sind im Begriff, ihre Tradition und Freiheit zu verlieren. Die guten deutschen Firmen, H&M, Zara, Apple. Der Erwerb von Produkten bringt einen Kick, dessen Halbwertzeit wesentlich kürzer ist als die Wirkung von Marihuana. Eine freundliche Welt wäre das, in der alle bekifft wären. Bekiffte hassen selten.
Apropos Religion. Gerade bewerben sich diverse Städte darum, neuer Amazon-Standort zu werden. Irgendein neues 80 Millionen Quadratmeter großes Areal, Amazon, Sie wissen schon. Eine der neuen Kirchen, die alte Systeme durch tolle neue ersetzen. Das bedeutet: Wir killen Existenzen und schaffen dafür unterbezahlte Arbeitskräfte.
Für sie, Endverbraucher, User, Loser, wird alles anderes. Nun, eigentlich wird es so, dass sie am Ende immer weniger Zeug kaufen können. Aber, Tusch: Jetzt nehmen wir ihr Geld und ihre Daten. Um alles über sie zu wissen, jede Zuckung ihres kleinen Gehirns. Um sie zu manipulieren und zu eliminieren. Und wir schenken ihnen – oh, auch einen Weihnachtsfilm, mit Kindern, und Paketen.
Hüsteln. Weiter.
Die 300 reichsten Schweizer besitzen heute 674.000.000.000 Franken. 225 Milliarden mehr als 2009.
Die armen Hunde, die ihr Geld in Panama und unwegsamen Paradies-Atollen verstecken müssen. Der arme Hoeneß. Zum Glück kann das gute alte Pflanzengift weiterverwendet werden. Kohle weiter abgebaut, Dieselschadstoffe weiter in die Luft geblasen werden.
Großartig, es gibt bald nur noch wenige Superfirmen, die die Preise anheben können. Teurer hurra. Wie die Mieten, die Lebenshaltungskosten. Dafür bezahlen sie unnütze Arbeitskräfte immer schlechter. Immer mehr Menschen in angespannteren finanziellen Situationen. Warum auch nicht, vielleicht geben sie auf, die Erde ist sowieso zu dicht besiedelt, die Rohstoffe langen nur für wenige Spitzenkandidaten. Die anderen – na Pech gehabt. Der Stärkere überlebt. Zu Recht.
Die anderen sitzen am Straßenrand. Aber – voilà, da kommt der Coca-Cola-Truck und zaubert ein Lächeln auf die verwitterten Gesichter jener an den Tafeln. Mann, wenn das mal bloß gut geht. Das neue Feudalsystem. Wenn die Menschen da mal nicht anfangen zu rebellieren. Wie immer, wenn Systeme zu ungerecht werden, drohen Revolution und Bürgerkrieg.
Zum Glück hat man aufkommende Aggressionen in bessere Bahnen zu lenken gewusst. Hasst euch alle und nicht die Reichen. Spaltet die Länder, Familien, zerschlagt Europa, hängt die Briten ab, hetzt die Bürger gegeneinander auf, dann sind sie beschäftigt.
Den Hass der Bevölkerung aufeinander zu unterstützen, war schon immer ein probates Mittel, um vom Eigentlichen abzulenken. Sie werden benutzt, meine Damen und Herren! Es geht nicht um gut oder böse, rechts oder links, es geht um die Erstarkung eines weltumgreifenden neuen Feudalismus. Aber warum auch nicht? Die Idee, dass alle Menschen gleich sind und allen ein menschenwürdiges Leben zusteht, ist relativ jung und hat sich nicht durchgesetzt. Akzeptieren Sie Ihren Platz. Hassen Sie Ihre Nachbarn. Die Polizei wird es richten.
Einen frohen Advent.“