Rovelli: „Oft muss man seine Art zu denken umstürzen, um die Welt besser zu verstehen. Die Schwierigkeit ist selten, auf neue Ideen zu kommen. Viel häufiger scheitern wir daran, dass wir alte Ideen nicht aufgeben können. Außenseitern wie mir mag das leichter fallen als anderen.“
Was für ein grossartger Fund, ein wahrer Schatz am Anfang eines neuen Jahres!
„Wenigen Menschen ist bewusst, wie sehr Vorstellungen aus der Physik ihr Zeiterleben bestimmen. Alle Welt fühlt sich heute von einem angeblich immer unerbittlicheren Takt der Uhren und Kalender gejagt. Dabei ist die Idee, dass es so etwas geben könnte wie eine für alle Menschen und das ganze Universum verbindliche Zeit, eine Fiktion. Der Physiker Isaac Newton hat sich vor dreihundert Jahren die „absolute, wahre und mathematische Zeit“ ausgedacht – weil er damit seine Gleichungen vereinfachen konnte. Heute gehen wir sogar im Alltag davon aus, dass es eine absolute Zeit gibt: So sehr haben wir uns an Newtons Gedanken gewöhnt.“
Im Zeitmagazin vom November, aus „Mangel an Zeit“ erst gestern in der Badewanne gelesen. Das ist natürlich Quatsch. Wie könnte es denn einen Mangel an Zeit geben?
Im Zeitalter der Zeitoptimierung trieb mich intrinsische Motivation dazu, mich mit der Zeit intensiver auseinanderzusetzen, auch mit der Sprache, die sich drumherum gebildet hat und die mir, je mehr ich darüber sinniere, idesto absurder vorkommt.
Den Gedanken, Zeit sei eine Fiktion, kann kann ich nun – dank Carlo Rovelli – getrost das Jahr über weiterspinnen. Ich fühle mich in seiner Sprache und seinen Gedanken beheimatet, wir sind der gleiche Jahrgang, eine gute Voraussetzung für das Grundverständnis seiner Thesen.
Auf die Frage: „Hat die Beschäftigung mit dem Wesen der Zeit Sie verändert?“
antwortet Rovelli: „Sehr. Ich bin viel heiterer geworden, seit ich mich von der Idee einer ewigen Zeit frei gemacht habe. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich älter geworden bin. Die Zeit lebt mehr in mir als ich in ihr. Und nichts von dieser Erfahrung, die die Natur mir geschenkt hat, wird bleiben. Ich brauche kein Exil in der Ewigkeit, denn in der sich ständig verwandelnden Natur bin ich zu Hause. Diese Aussicht finde ich tröstlich.“
Wunderbarer Schluß. Großartiger Anfang.
Frohes Neues Jahr!