14./15.06.2018
Gleich wärmt mich der erste Kaffee. Mit 6°C ist es noch ordentlich frisch.
Wunderschön anzusehen, wie der Nebel aus den Feldern kriecht!
Bis das Zelt abgetrocknet ist, mus ich noch etwas warten. Die Feuchte – ein Nachteil vom Zelten zwischen Bach und Feld.
Bald komme ich durch Schwalmbach, dort gibt es Einkaufsmöglichkeiten und Cafés.
Wenn ich morgens durch die Dörfer laufe, huschen immer wieder wohlduftende Menschen an mir vorbei und wirbeln meine Sinne durcheinander. Lichtdurchflutetete Badezimmer mit grossen Kristallspiegeln und Orchideen auf der Fensterbank, CK One und Cliff Energy Shower Strong Attack Tigergras, all das, was ich sonst nicht im Geringsten vermisse, drängt sich unwillkürlich in das Wunschrepertoire meiner Gedankenwelt.
Ich muss mich beherrschen, diesen Menschen nicht hinterherzulaufen.
Den Duft finde ich inzwischen so betörend, dass ich beschliesse, meine Ausrüstung dementsprechend aufzurüsten. Gewicht hin oder her.
Im nächsten Supermarkt besorge ich mir ein kleines Fläschchen DEO CD Wasserlilie, 25ml, ohne Aluminiumsalze.
Ausser beim Bäcker und im Supermarkt heute morgen ist mir auf der ganzen, 27 km langen Wegstrecke, kein einziger Mensch begegnet.
Erst zum Ende der Etappe, in Freudenthal, treffe ich auf ein paar Kinder. Die fragen neugierig, ob ich wandere und wohin ich denn gehen würde. Sie schenken mir selbst gepflückte Kirschen.
Finn mit den Rollschuhen ist besonders neugierig. Er findet die Idee, nach Hamburg zu wandern, ziemlich grossartig und will alles von mir wissen.
Am Ende unseres Interviews fasst er einen Entschluss. Er war noch nie in Hamburg, wollte schon immer mal nach Hamburg und geht jetzt mit. Das klingt sehr überzeugt.
„Hast Du denn Deine Eltern schon gefragt“? „Nein, das mache ich gleich. Du wartest aber auf mich, ich bin in ein paar Minuten wieder da.“
In dem Glauben, ihn abgewimmelt zu haben, laufe ich weiter, auf einem Schotterweg aus dem Dorf hinaus. Nach wenigen Minuten ertönt hinter mir ein „Warte!!!“ Mit Rollschuhen stolpert Finn hinter mir her, fällt auf die Nase, steht wieder auf, reisst die Schuhe von den Füssen und holt mich strumpfsockig ein.
Als ich ihm erkläre, dass es mindestens noch 3 Wochen dauert, bis wir in Hamburg ankommen werden, dreht er sich noch einmal um. „Tschüss Dorf, ich werde dich schon etwas vermissen. Aber in 3 Wochen fahre ich mit meiner Familie nach Bayern in Ferien. Bis dahin bin ich wieder zurück, das passt ganz gut.“ Ich fasse es nicht!
Erst nach über einem Kilometer kann ich den Bub davon überzeugen, dass es ziemlich uncool wird, strumpfsockig mit mir nach Hamburg zu laufen.
Er hat Tränen in den Augen, als wir uns verabschieden und jeder von uns seines Weges geht, er zurück, ich nach Norden. „Aber versprich mir, dass Du auf dem Rückweg wieder hier vorbei kommst.“
Von Hamburg schickte ich eine nette Ansichtskarte an folgende Adresse: Finn, sehr aufgeweckt, 8 Jahre, Freudenthal, Strasse unbekannt, der Postbote kennt ihn bestimmt.