…Eltern bekommen sie von ihren Kindern. –
„Oma, du musst mir die andere Hand geben, mit dieser Hand kann man nicht tanzen.“ Das waren ihre letzten Worte, dann schlief sie ein. Meine En(g)kelin, 3 Jahre ist sie inzwischen. Glücklich, wir beide, sie die Augen zu, ich die Augen geöffnet, das kleine Menschlein betrachtend und bereit, den Übergang von der turbulenten Back- und Bastelwelt in ihre Traumwelt zu bewachen. Behütend hielt ich ihre Hand, bis sie erschlafft aus meiner glitt.
Wir hatten vorher viel Spass miteinander. Zwei Bleche voller lustiger Augenplätzchen hatten wir gebacken, sie standen nun zum Verzehr bereit. Wunderschöne Sterne und Herzen klebten an den Fenstern, zur Freude der Mutter mit unzähligen Klebstreifen vor dem Abfallen gesichert. Das Papier mit der restlichen Butter vom Backen lag mit der richtigen Seite auf der Heizung und die Butter tropfte munter zwischen die Heizungslamellen. Das blieb unser Geheimnis. Die Eltern müssen ja nicht alles wissen.
Bis das zweite Enkelchen durch den nächsten Advent krabbelt, kann ich ja noch weitere, lustige Ideen sammeln…
Wie war das eigentlich früher, als die Kinder noch zuhause wohnten und wir gemeinsam die vorweihnachtliche Zeit verbrachten? Ich stöberte mal in meinem alten blog. Und fand folgenden Eintrag über adventszeitliche und weihnachtliche Eskapaden mit meinen Nachkommen. 10 Jahre sind seit diesem Text durch unser Leben galoppiert.
„Ist das euer Tannenbaum?“ fragte mich eine Freundin, die ich samt Brut und Gatten zum Adventsbrunch eingeladen hatte, mit einem verächtlichen Blick durchs Fenster auf die Terasse.
In der Tat, unser Tännchen beeindruckte nicht gerade durch seine Grösse – mein Hang zum Minimalismus war wieder mal voll durchgebrochen.
Klein aber fein stand er stabil und tief verwurzelt in grüner Nacktheit in seinem Topf und wartete auf das festliche Kleid. Gerade im Angesicht der drohenden Weltwirtschaftskrise ist er eine zukunftsträchtige Investition, eine ökologisch untadelige Mehrweg-Tanne, die bis zum nächsten Fest 100%ige Wertsteigerung verspricht und ausserdem im Sommer das Loch in der grünen Grenze um unsere Terrasse stopfen wird. Ein weiterer Vorteil des Zwergenbaums ist der begrenzte Stauraum für Zierwerk. Dem Wunsch, den ganzen Flitter, der sich während der letzten zwei Jahrzehnte in 4 Euroboxen ansammelte, in stundenlanger, kreativer Handakrobatik an den Baum zu werfen, sind durch die fehlende Grösse natürliche Grenzen gesetzt.
Kurz bevor ich mich also am Nachmittag der stillen Nacht in den Keller wagte, um mich wie eine Maulwürfin durch angehäuften Sperrmüll an die Weihnachtskisten ranzupirschen, ertönte aus der Küche die schnippische Stimme meiner Engeline „könntest Du jetzt vielleicht mal…den Computer ausmachen!“ und kurz darauf aus dem Zimmer des Prinzen „Zoff? Wartet, bin gleich wieder da, will auch !!“
Aah, Weihnachten, das Fest der Liebe. Da bekam ich sie serviert, die Früchte jahrelangen Versuchs, die Brut zu sozialverträglichen Wesen zu erziehen.
So musste das wohl geklungen haben, als die Rollen noch vertauscht waren und ich Herrin im Haus…dachte ich mir und biss in den sauren Apfel, der nicht weit vom Stamm gefallen war.
Während Prinz sich weihnachtsmännisch um seine Liebste kümmerte und Engeline sich um die geschmackliche Verfeinerung der gewürfelten Kuh bemühte, kämpfte ich mich durch Skier, Kisten, Werkzeuge und Koffer, die sich während des letzten Jahres vor den Weihnachtskisten aufgetürmt hatten…und ein weiterer Vorteil des kleinwüchsigen Bäumchens offenbarte sich mir. Die erste Kiste reichte aus, um ihm den Putz zu verleihen.
Fast andächtige Stimmung kehrte ein, als der letzte Ast geschmückt, der letzte Dip im Kühlschrank und das letzte Geschenk verpackt war.
Ein allerletztes Luftschnappen beim Gang auf den Friedhof rundete das Zeremoniell des Heiligen Nachmittages ab und endete mit heftigem Magenknurren beim Betreten der gewürzig duftenden Küche.
Jetzt musste es schnell gehen. In weiser Vorraussicht inszenierte ich den bisher ausgebliebenen Weihnachtszoff – Oma sagte immer, streiten mit vollem Magen ist ungesund – kurzerhand beim Decken des Tisches durch Zerdeppern eines guten Weinglases, worauf mein Prinz vor Schreck ein Schälchen mit Eiweiss ausschüttete und Engeline darauf ausrutschte. Wir keiften kurz, schoben jeweils dem andern die Schuld in die Schuhe und bekundeten uns gegenseitig unsere Blödheit. Dann war das auch erledigt und bald darauf hatten wir uns wieder lieb und sassen in harmonischer Eintracht im sanften Lichterschein der Kerzen bei Tisch und genossen in gefrässiger Stille die Köstlichkeiten – und Antony Hegarty sang mit engelsgleicher Stimme leise dazu „I’ll grow back like a Starfish…“
Zu fortgeschrittener Stunde fand sich dann unter den Geschenken auch meine als vermisst gemeldete Kameratasche wieder, die ich wohl beim letzten Konzert im Shamrock verschlampert hatte – Engeline hat sie dort aufgestöbert und mir liebevoll verpackt mit den Worten überreicht „hier noch etwas, was Du dir so sehr gewünscht hast…“. Hach. Wie süss. Ist sie nicht süss, meine Engeline?
Aber nicht so süss, wie das Finale der stillen Nacht. Süssholz. Nein, nicht geraspelt, gekaut. Schmeckte wie Räucherstäbchen in Parfüm getunkt und mit Puderzucker und Lakritze paniert. Ekelhaft, einfach ekelhaft. Man kann sich die Welt damit schönkauen, selbst ein Fischauge wird vergleichsweise zur Delikatesse. Zum Glück hatte ich im Geschenkefundus noch ein Fläschchen Ü20 Whisky…