8. Tag – Lissabon trägt Trauer
Wie schnell die Tage vergingen! Etwas wehmütig ziehe ich morgens mein Köfferchen durch die kopfsteinbepflasterten Gassen, am Quintal dos Sabores vorbei. Die Wirtin richtet Tische und Stühle her und winkt mir ein fröhliches Bom Dia! zu, ich winke ein freundliches Adeus! zurück.
Der Rede Expressos Bus ist gut besetzt, wir fahren pünktlich los.
Nach etwas über der Hälfte der dreieinhalbstündigen Fahrt meldet sich meine Blase, der Morgenkaffee will raus. Die Bordtoilette ist nach Aussage einer Mitreisenden defekt und deshalb verschlossen. Ich warte ab, bis der Bus die kurvige Straße verlässt und auf die Autobahn fährt, um den Fahrer auf mein dringendes Bedürfnis aufmerksam zu machen. Der lässt sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen und erwidert seelenruhig, in etwas mehr als einer Stunde wären wir in Lissabon, im Busbahnhof Sete Rios gäbe es eine Toilette. Peng!
Ich bin mir äußerst unsicher, ob ich bis dahin dicht bleibe und versuche meine verbleibenden Handlungsmöglichkeiten durchzuspielen.
Erst mal komme ich nur auf zwei. Entweder ein businternes, lautstarkes Drama aufzuführen um den Busfahrer umzustimmen oder einfach alles laufen lassen. Für Ersteres bin ich aber zu feige und für Zweites ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, da fällt mir eine dritte Möglichkeit ein: durch Meditation meine inneren Flüssigkeiten zu besänftigen.
Das klappt erstaunlich gut. Kurz vor Lissabon zeigt dann der Himmel was er kann und lässt es einfach laufen. Wie ich ihn beneide! Als wir bei Sete Rios ankommen, steht das Wasser auf der Straße und es schüttet wie aus Kübeln. Ich will auch! Zum Glück schaffe ich es als erste aus dem Bus und bahne mir den Weg zum ersehnten Örtchen mit Ellenbogeneinsatz. Geschafft!
Mit der Metro zwei Stationen, über die Straße und schon bin ich am SANA Reno Hotel.
Dort werde ich schon erwartet und aufs Wärmste empfangen.
In der Hoffnung, dass der Wetterbericht hält, was er versprochen hat, lege ich erst mal ein Ruhepäuschen im schönen Zimmer ein, um nachmittags in der versprochenen Regenpause im nahen Park spazieren zu gehen und anschließend etwas zu essen. Doch es kommt keine Regenpause, sondern schüttet umso mehr. Vor dem Fenster im 5. Stockwerk bildet sich ein Vorhang aus Regenfäden. Als dann ein wunderschöner Regenbogen ins Zimmer hineinlacht, werfe ich mich sofort in die Jacke. Unten am Ausgang angekommen, war der Regenbogen weg und es schüttet schon wieder.
Der Hunger meldet sich langsam. Hoffnungslos spanne ich meinen gelben Schirm auf, um wenigstens eine Illusion von Sonne zu haben und gehe auf Futtersuche.
Im nahegelegenen GROUND BURGER São Sebastião werde fündig. Die Jungs dort sind freundlich und zugewandt, der Burger schmeckt, zwischendrin ein Craftbeer-Tasting, das schmeckt auch. Doch nur eines der Getesteten sticht geschmacklich wirklich heraus: das Sierra Nevada Pale Ale, eines der ältesten kalifornischen Craftbiere.
Regenpausen in Lissabon können großartig sein! Inzwischen ist es dunkel, es schüttet, und außer den Reflektionen der Lichter auf den nassen Pflastersteinen gibt es nichts zu sehen. Satt und bettschwer ziehe ich mich ins Hotel zurück. Das wars.
Mal eine Woche fast ohne TV und Sachzwänge das Unbekannte aufsaugen und fließen lassen, empfand ich als sehr bereichernd, ein wohltuender Abstand zu den vergangenen Ereignissen ist geschaffen.
Noch eine Nacht und der Rückflug bleiben mir, dann schwinge ich mich wieder auf den Alltag im Endzeitkapitalismus ein.
Freunde warnten mich schon „schaue keine Nachrichten“. Das wirkt aber wie eine Aufforderung… Wäre ich im Kino, würde ich gespannt dem Ende des Dramas entgegenfiebern.