„Unter allen Formen des Wahnsinns“, heisst ein alter Bergsteigerspruch, „ist der Alpinismus für die von ihm Befallenen am schmerzlichsten.“
Und Sprachpapst Wolf Schneider fügt dem noch hinzu: „Auf einen Teil Glück fallen oft fünf Teile Plackerei und nicht selten ein Teil Entsetzen.“ So las ich es im aktuellen DAV-Heft und dem kann ich nur beipflichten.
Einmal zu erfahren, wie es es sich anfühlt, in der Gletscherspalte zu hängen, einmal zu erfahren, wie sich’s auf dem Gletscher mit Steigeisen hoch und runter plagt, um das eine Quäntchen Glück zu erfahren, oben auf einem Gipfel zu stehen, der vielleicht höher ist, als die bisher bestiegenen.All dies beschäftigte mich nun schon 3 Jahre. Nicht ununterbrochen, doch beharrlich und immer wieder.
Nachdem Ich Steve House „Jenseits des Berges“ gelesen hatte, war endlich der Zeitpunkt klar. Möglichst sofort. Notfalls mit Windeln. Denn ich hatte Schiss.
Egal, top oder flop, da musste ich jetzt wohl durch, um meines Seelenfriedens willen und zwecks der Sicherheit bei zukünftigen, höhergelegenen Gipfelzielen.
Am Freitag Morgen um 4:30 klingelte kein Wecker. Ich wachte nach nur 3 Stunden Schlaf ganz von selbst auf. Alles war am Vorabend schon ordentlich verpackt und mein Rucksack und die Reisetasche voller Angstgepäck (ich hatte alle Klamotten in 3-facher Ausfertigung! Man kann ja nie wissen…) standen bereit zur Abfahrt. Nach kleinen Mitfahrerinnenfindungsstörungen fuhren Moni, Doris und ich mit Andreas Richtung Berner Oberland, über den Sustenpass zum Hotel Steingletscher. Dort trafen wir dann die anderen 10 Bergsüchtigen.
Es war noch zu früh, um die Lager beziehen zu können, so machten wir uns gletschertüchtig, schulterten die Rucksäcke und zogen los Richtung Berg.
Erstmal mussten wir einige Schneefelder queren, dann zogen wir die Steigeisen und die Klettergurte an und schmückten uns mit Karabinern, Prusiken und Bandschlingen.
Am 1. Tag war Gewöhnung an die die neuen Gehtechniken angesagt. Laufen auf Steigeisen, es gibt Schlimmeres. Generell muss man etwas breitbeiniger gehen – etwa wie der Westernheld beim Showdown. Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt – selbst das Hüpfen über die Spalten machte nach kurzem Bellen des inneren Schweinehundes Spass.
Wir bildeten Seilschaften und stiegen weiter hoch, wo es richtig steil und spaltig wurde, wo Tom aber zur Entschärfung schon ein Fixseil gelegt hatte. Die mich sichernde Prusik entschärfte dann den kleinen Teil Entsetzen, der mich beim Anblick des steilen Blankeises packte.
Gipfelglück gab es an diesm Tag noch keins, dafür kamen wir alle heil wieder runter und waren nach dem langen, erlebnisreichen Bergtag rechtschaffen müde.
Nach der Rückkehr konnten wir in der Lodge des Hotel Steingletscher unser Lager beziehen und nach einer Dusche und schmackhaftem Abendessen lockte bald der Schlafsack. Obwohl ich todmüde war, trieb das ungewohnt laute Rauschen des Gletscherbachs den Schlaf lange vor sich her.
Überflüssigerweise war ich dann um 4 in der Früh schon wieder hellwach und staunte: ausser den Fliesswassergeräuschen nix zu hören. Kein Schnarchen. Kein Grunzen. Nix. Überhaupt keine Atemgeräusche waren zu vernehmen. Entweder lagen meine Gletscherkameraden alle im Koma oder lauschten wie ich um die Wette.
Zum Frühstück waren glücklicherweise alle Gletscherkameraden wieder aus dem Koma erwacht. Putzmunter machten wir uns über das Schweizer Birchermüsli her, es schmeckte genial sämig, wohl schon am Vorabend eingeweicht.
Danach ging es wieder auf den Gletscher. Die „lose Rolle“ stand auf dem Programm. Wir lernten, wie man in eine Gletscherspalte hineinfällt, eine Standsicherung mittels T-Anker baut und aus der Spalte wieder herausgezogen wird. Das war harte Arbeit. Bis alle jede Seilschaftsrolle 1x durchgespielt hatten, war der Tag auch schon fast rum. Als Schmankerl gab es am Ende dann noch Firnrutschen mit Bremsmanöver mittels Liegestütz. Eigentlich eine sinnvolle und lustige Übung, hätte sich da nicht ca 200m tiefer im Gletscher ein dunkler Höllenschlund aufgetan. Mein Schweinehund knurrte und liess sich nicht überwinden, so konnte ich die lustige Lektion nur theoretisch lernen. Tom erweiterte danach den Unterricht im Hotel, wir durften unsere neu erworbenen Praxiskenntnisse theoretisch im Seminarraum verfestigten.
Der Rest des Abends und die Nacht verliefen ähnlich wie am Vortag, leckeres Abendessen (vor allem das Süppchen…), baldige Bettruhe und geräuscharmes Schlafen, welches dann zum Glück für mich länger und tiefer ausfiel, als in der Nacht zuvor.
Der letzte Tag war dann nur noch Genuss ( respektive fünf Teile Plackerei, ein Teil Entsetzen, ein Teil Glück). Hochtour auf die Tierberglihütte und zum Gipfel Vorder Tierberg war angesagt. Wobei sich in diesem speziellen Fall die fünf Teile Plackerei auf 4 reduzierten, da die Damen-Seilschaft sich die restlichen 200hm Gipfel-Aufschwung ersparte, was aber das eine Teil Glück dadurch nicht schmälerte – die Aussicht von der Tierberglihütte und das dazugehörige Wetter waren einfach umwerfend. Da schmeckte der Cafe Crème nochmal so gut.
Der Vollständigkeit halber hatte ich dann im steilen Abschnitt des Abstiegs noch mein kleines Teil Entsetzen, als das Blankeis unter der dünnen Schneeauflage vorkam, die Frontalzacken der Steigeisen nicht greifen wollten und ich die theoretisch gelernte Liegestützübung in die Praxis umsetzen musste.
Bei einem (ich musste ja zum Glück nicht fahren) kühlen Bier auf der Hotelterrasse liessen wir dieses schöne, erlebnisreiche Wochenende ausklingen. Über den Susten ging es wieder zurück, wir waren danach nicht wirklich früh zuhause. Aber glücklich.
Denn wichtig ist vor allem, dass man heil wieder ankommt.
Oder wie Tom am Berg sagte: „wenn’s dein Glück gerecht behandelst, dann verlasst di’s nie.“