Hüreli

Talflucht
Gründe, in die Berge zu fliehen, gibt es immer.

Frau B. lud zum Gipfeltreffen mit Geburtstagskuchen und Sekt, es war heiss und es war Freitag. Grund 1 ist selbsterklärend und zählte doppelt, dank der Lastenverteilung auf die Schultern unseres sehr geschätzten Trägers und Anführers Herrn S. Da die Temperaturen im Tal auf 34° klettern sollten und man pro 100 Höhenmeter eine ca. 1°ige Entwärmung schätzt, war Grund 2 auch nicht zu verachten und wir konnten uns beim mittäglichem Eintreffen auf dem ersten Gipfel über angenehme 23° freuen. Grund 3 schliesslich ist nicht für alle selbsterklärend, denn entgegen dem Namen ist der Freitag nicht unbedingt für jeden ein freier Tag, diesen Zustand wissen aber Freelancer, Rentner und andere, von ganz regelmässiger Arbeit befreite Menschen durchaus zu schätzen, denn während sich die meisten Vollzeiterwerbstätigen in muffigen Büros durch den hitzigen Tag Richtung Wochenende schwitzen, kann man sich als Teilzeit-Fünferpack auf den Schmalspurserpentinen  richtig austoben. Alles hat seinen Preis.
Die morgendlichen Startbedingungen wichen geringfügig vom Wunsch ab, war doch am Abend zuvor Theater, sprich: es wurde spät, aber nicht zu spät, um rechtzeitig 7 Uhr morgens ein paar Mitwanderer einzusammeln und Richtung Davos zu flüchten. Die Abweichung vom Wunsch fing damit an, dass eine Mitwanderin grundlos nicht auftauchte, aber es war zu früh, um sich darüber Gedanken zu machen. Als wir dann am Wanderstartpunkt – dem mit Google Maps ausgetüftelten Parkplatz am reich von Reichen besiedelten Ufer des Davoser Sees – ankamen, war dort eine Schranke und weit und breit keine Spur von dem aus westlicher Richtung anreisenden zweiten Teil unserer Wandergruppe.

So beschlossen wir, eine halbe Stunde zu warten und im Falle des Nichttreffens zu zweit loszustapfen und Sekt und Kuchen selbst zu tragen. Eine Lagebesprechung über Handy wurde leider durch den Langzeitversuch “es klappt trotzdem” unseres sehr geschätzten Alphamännchens und Handyverweigerers, Herrn S., vereitelt. Als Dauersympathisantin dieser seltenen Spezies sagte ich zu Frau B.: “es hat bisher immer geklappt”, zog die Bergstiefel an, schaute Richtung Strasse und sah einen dunkelgrünen Audi auf uns zufahren. Endlich komplett, in zufriedener Vorfreude, stürmten wir aufs Hüreli, wo uns zwar ein merkwürdiges Gipfelkreuz erwartete, aber ein wunderbarer Tiefblick auf den Davoser See, köstlicher Nusskuchen und ein Glas (!!!) Sekt für die Mühen des Aufstiegs belohnten.
Weiter gings über die Geisterbahn Pischa, eine verwaiste Bergstation, die in einsamem Sommerschlaf auf ihren winterlichen Einsatz hindämmert, vorbei an schrumpfenden Schneepfützen, in denen ich mich angesichts der bewegungsbedingten Wärmeentwicklung am liebsten gewälzt hätte  Um mich vor etwaigen Peinlichkeiten zu bewahren, warf Herr S. alternativ mit Schneebällen, was einen ähnlichen Effekt hatte. Von nun an gings bergab, aber obwohl schon ziemlich lange unterwegs, waren wir immer noch nicht berggesättigt und nahmen auf dem Rückweg noch schnell den nur 140 m hohen, aber steilen und schweisstreibenden Gifelanstieg zum Davoser Hausberg Seehorn mit.

Zum Abschluss der Tour gab es ein erfrischendes Bad im kalten Davoser See, für die Warmduscher unter uns tat’s auch knietiefes Waten um die Kneippanlage und am Ende als Lohn für die Strapazen erwartete uns ein köstliches Hefeweizen im Biergarten am See. Um halbzwölf nachts zog ich dann mit heiterer Müdigkeit die Haustüre hinter mir zu und die Wanderkluft vom Leib – toll wars…